Westdeutsche Zeitung
Fragen bis zum Zusammenbruch
Gelungene Uraufführung von „Kollaps“ in Wuppertal.
Wuppertal. Nein, in 70 Minuten können die großen Fragen der Menschheit nicht geklärt werden. Aber man kann sie stellen. Das tun die vier Schauspieler (Holger Kraft, Anne-Catherine Studer, Marco Wohlwend und Julia Wolff) bis zur Atemlosigkeit und bis sie im „Kollaps“ erschöpft vom Stuhl kippen.
Im Prolog, den die Schauspieler im offenen Innenhof des Schauspielhaus-Foyers sprechen, zitieren sie Wetterberichte für das Bergische Land aus den letzten hundert Jahren. Deutlich wird, wie abhängig die Menschen früher vom Wetter waren – Missernten betrafen jeden. Heute wird das ignoriert – der Globalisierung sei (kein) Dank.
Der Regisseurin geht es um Weltklima und Wirtschaftswachstum.
In der Uraufführung von „Kollaps“ geht es der Regisseurin Julie Pfleiderer längst nicht mehr nur um die Fragen, ob man den Müll trennt oder das Wasser beim Zähneputzen laufen lässt – die großen ökologischen Probleme sind globaler Natur: das Weltklima, das Wirtschaftswachstum, das Mobilitätsverhalten. Leise, fast zaghaft stellen die Akteure anfangs Fragen, die Menschen nachdenklich machen und die fast suggestiv zum Antworten zwingen: Ja, ich spende für Greenpeace, nein, ich trage kein Leder, ja, ich esse Fleisch, ja, ich benutze Billigflieger. Den Fragenden begleiten die verbliebenen drei sitzend mit Alltagsgesten, die in ihrer stereotypen Wiederholung etwas Zwanghaftes, ja Roboterhaftes bekommen (Choreografie Sara Manente). Doch immer rascher, lauter und heftiger folgt Frage auf Frage, bis alle vier sie gleichzeitig stellen und die Sprachcluster nicht mehr zu dekodieren sind: Kapituliert man vor der Allmacht nicht beantwortbarer Fragen? Dazu durchschreiten oder durchlaufen die Schauspieler einen Parcours aus Pflanzen als Symbole schützenswerter Natur (Bühne und Kostüme: Sandra Linde, Dorien Thomsen). Und als es ganz still ist, nur die Videoprojektion bewegter Gräser und leise Geräusche aus der Natur die Zuschauer berieseln, spürt man, was einem wirklich fehlt. Elektronik und Diskussionen vom Band (Sounddesign: Christophe Albertijn) aber überlagern wieder die beruhigenden Eindrücke, tiefes Wummern nimmt bedrohlich zu: Einfache Antworten kann es nicht geben. Aber weil der Kollaps absehbar ist, ist jeder zum Handeln aufgefordert.
Veronika Pantel